Ökologie

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Der frei fliessende Rissbach in Tiroler und Bayerischen Alpen.

Vernetzung

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Vernetzung. 1: Längsvernetzung (longitudinal) zwischen Abschnitten am Hauptfluss und zwischen Hauptfluss und Zuflüssen; 2: Quervernetzung (lateral) zwischen terrestrischen und aquatischen Ökosystemen; 3: Tiefenvernetzung (vertikal) zwischen Sohle und Grundwasser. Illustration nach Malmqvist 2002.

Voraussetzung für lebendige Gewässer ist eine intakte Vernetzung in alle drei Dimensionen, das heisst longitudinal (Längsvernetzung), vertikal (Tiefenvernetzung) und lateral (Quervernetzung). Die Längsvernetzung ist wichtig für die Wanderung der Wasserlebewesen. Nicht nur die ausgeprägten Wanderfische wie etwa der Lachs, sondern auch die übrigen Fischarten und die kleineren Wasserlebewesen müssen sich ungehindert flussauf- und -abwärts bewegen können (z.B. zur Nahrungssuche, zum Aufsuchen von Laichgebieten oder auf der Suche nach Refugien). Der funktionierende Geschiebehaushalt (strukturreiche Sohle, Lebensraum und Laichplatz für Fische) ist wichtig für die Längsvernetzung. Der Übergangsbereich von Wasser und Land ist potentiell ein sehr artenreicher Lebensraum. Je struktur- und abwechslungsreicher dieser Uferbereich (Quervernetzung) ist, ein desto artenreicheres Lebensraummosaik entsteht. Besonders ausgeprägt ist es in Auengebieten. Amphibisch lebende Arten sind auf eine gute Quervernetzung und ein reichhaltiges Angebot unterschiedlicher Lebensräume im Wasser-Land-Bereich angewiesen.

Fliessgewässer spielen bei der Vernetzung in der gesamten Landschaft und in der Ergänzung und Sicherung der ökologischen Infrastruktur eine wichtige Rolle. Zur ökologischen Infrastruktur werden wir auf dieser Webseite die wichtigsten Informationen zusammentragen.

Schliesslich ist der Austausch zwischen Oberflächen- und Grundwasser (Tiefenvernetzung) für einen natürlichen Wasserkreislauf unerlässlich. Der Austausch verhindert einerseits das Austrocknen von Auenflächen und garantiert die Versorgung mit nährstoffarmem, kühlem Wasser aus dem Untergrund, andererseits ist das Interstitial (mit Wasser gefüllte Hohlräume im Bodensediment, Grenzraum zwischen Gewässersohle und Grundwasser) ein wichtiger Lebensraum für verschiedene Makrozoobenthos-Arten. Es gibt allerdings auch verschiedene Gewässersysteme mit nährstoffreichem Grundwasser, v. a. aus der Landwirtschaft, sowie natürlich oder Mensch bedingtes sommerliches Austrocknen der Gewässer (Beispiel Töss im Kanton Zürich). Nur wenn die verschiedenen Lebensräume in allen Dimensionen miteinander vernetzt sind, lässt sich die hohe Biodiversität von Gewässersystemen langfristig erhalten.

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Lebensraum Bachsohle: Mosaik der Kleinlebensräume und ihre typischen Bewohner. (Prinzipdarstellung aus Bostelmann 2003)

Links

Natürliche Dynamik

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Ein Prallhang, wie er im Buch steht (Fluss Inn in Deutschland)

Lebensraumvielfalt, hydraulische Dynamik

Die Lebensräume von Fliessgewässern werden durch die natürlichen und saisonalen Abfluss- und Geschiebeveränderungen immer wieder neu geformt. Diese Dynamik ist die Voraussetzung für den Erhalt von natürlichen Fliessgewässern. Je grösser die Spannweite von Abfluss- und Geschiebedynamik, desto höher ist die Lebensraumvielfalt in einem Fliessgewässer und somit auch die Entwicklung spezifischer Lebensgemeinschaften (Biozönosen). Typische Beispiele dynamischer Lebensräume sind die Auen. Hier entsteht im Übergangsbereich zwischen Fliessgewässer und Uferbereichen ein Mosaik, das ausserordentlich reich an verschiedenen Tier- und Pflanzenarten ist. Leider ist nur noch ein Bruchteil der Schweizer Gewässer durch eine natürliche Dynamik geprägt, weil seit ca. 1860 zahlreiche Fliessgewässer verbaut wurden. Ein wichtiges Ziel von Revitalisierungen ist, diese natürliche Dynamik wiederherzustellen. Die Grundlagen dafür sind im Merkblatt zur Förderung der Dynamik bei Revitalisierungen beschrieben.

Der Kanton Aargau ist in der Revitalisierung von Gewässern] sehr aktiv gewesen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass sich der Geschiebehaushalt als wesentliches Element der Dynamik nur sehr beschränkt, auf einzelnen Abschnitten und kaum längerfristig, wiederherstellen lässt. Diese Erfahrung gilt es bei anderen Projekten zu berücksichtigen.

Links

Strukturvielfalt

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Lebensraum Totholz

Artenvielfalt braucht Strukturvielfalt. Damit sich ein Gewässer natürlich entwickeln und seine natürlichen Funktionen erfüllen kann, braucht es einen ausreichend grossen Gewässerraum, in dem sich eine grosse Strukturvielfalt ausbilden kann. Unter Strukturvielfalt im Gewässer versteht man das Vorhandensein von unterschiedlichen Fliessstrukturen (schnell und langsam fliessende Bereiche; Kaskaden, Schussrinnen, Kolke etc.), welche hervorgerufen werden durch verschiedene Bettstrukturen (unterschiedlich ausgeprägte Gewässersohlen, Wassertiefen, Gewässerbreiten und Uferbereiche), einzelne Strukturelemente (Totholz, Blätter, Steinblöcke etc.) und die enge Vernetzung zwischen Wasser- und Landlebensräumen. Diese variierenden Strukturen führen in einem natürlichen Fliessgewässer zu einem Mosaik an Lebensräumen welche räumlich eng miteinander verzahnt sind und ganz unterschiedliche Arten von Tieren und Pflanzen beherbergen. Leider sind die Fliessgewässer der Schweiz mittlerweile stark verbaut, weisen eine stark beeinträchtigte Strukturvielfalt auf und sind deshalb in ihren natürlichen Funktionen eingeschränkt.

Links

Lebensräume und Arten

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Flussregenpfeifer sind typische Bewohner von Kiesbänken

Fliessgewässer bestehen aus Lebensraumkomplexen mit Haupt- und Nebenarmen, Kiesbänken, Prallhängen, Giessen, Tümpeln, Auwäldern, Gebüschsäumen, Magerwiesen, etc. Nachfolgend wird auf die Auen, die Gletschervorfelder und alpinen Schwemmebenen eingegangen. Da es zur Biologie und Ökologie der Fliessgewässer viele Unterlagen gibt, wird auf das Wichtigste verlinkt.

Auen

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Die Zonen einer Aue

Auen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen. 1200 Pflanzenarten konnten bisher nachgewiesen werden. Auch die zoologische Vielfalt ist gross: Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken nutzen die verschiedenen Auenbiotope und Amphibien, Fische, viele Vogel- und Säugetierarten finden Nahrung und Unterschlupf. 84 Prozent aller heimischen Arten können in diesem Ökosystem vorkommen. Charakteristisch für die Auen ist das kleinräumige Mosaik von unterschiedlichen Lebensräumen: In unregelmässiger Erscheinung wechseln sich nasse, feuchte und austrocknende, offene und bestockte, humusarme und humusreiche, saure und nicht saure, nährstoffarme und -reiche Standorte ab.

Auen lassen sich grob in drei Zonen unterteilen: Das Flussbett wird durch die Kraft des Wassers regelmässig umgestaltet. Hier kommen Pionierarten wie der Flussregenpfeifer oder Fleischers Weidenröschen (Epilobium fleischeri) vor, die sich den schnell ändernden Bedingungen anpassen können. Ein verborgener Lebensraum ist das Interstitial, das Lückensystem im Flussbett zwischen Geröll und Kies. Für einen Grossteil der im Wasser anzutreffenden kleinen Organismen sind diese Hohlräume unter der Gewässersohle und im angrenzenden Uferbereich die wichtigsten Lebensräume. Sie stellen Rückzugsorte dar und werden von vielen Makroinvertebraten und kleineren Fischen genutzt, sowie auch von adulten Fischen für die Laichablage.

Die Auenterrassen sind von Weiden und Erlen bewachsen. Der Grundwasserspiegel in diesem Bereich hoch. Der Boden ist für die Entwicklung einer Weichholzaue stabil genug. Die weiter vom Fluss und die höher gelegenen Bereiche werden nur selten überflutet, stehen aber mindestens teilweise unter Einfluss des Grundwassers. Hier kann sich die Hartholzaue entwickeln. Lokal kann der Boden so trocken sein, dass Magerrasen (Brenne) aufkommt.

Die Strukturvielfalt in Auengewässern reicht von Altgewässern (Altarme und Altwasser) über Giessen bis hin zu zeitweilig wasserführenden Mulden und Tümpeln, ideal für Amphibien wie die Gelbbauchunke.

Das Faltblatt des BAFU "Auen der Schweiz" gibt einen zusammenfassenden Überblick zu den Auen in der Schweiz

Das Ufer der Auen sind häufig auch von Auengewässern durchsetzt.

Eine wichtige Grundlage für den Schutz und Erhalt der noch vorhandenen Auen ist das seit 1992 bestehende Aueninventar des Bundes "Auen". Unter diesem Link befinden sich verschiedene wichtige Grundlagen, u. a. eine Vollzugshilfe zur Auenverordnung.

Gletschervorfelder und alpine Schwemmebenen

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Links: Hochebene Greina im Kanton Graubünden; rechts: Gletschervorfeld "Vadret da Morteratsch" im Oberengadin

Gletschervorfelder haben sich auf den seit der kleinen Eiszeit (um 1850) eisfrei gewordenen Flächen entwickelt. Im Einflussbereich des Gletscherbachs gibt es einen interessanten Übergang (Zonation) vom Wasser zum Land, der von Überflutung, Abtrag und Sedimentation geprägt ist. Ausserhalb dieses dynamischen Bereichs hat der Gletscher ein reich strukturiertes Gelände hinterlassen, welches sich in einer Entwicklung (Sukzession) mit unterschiedlichsten Lebensräumen befindet. Alpine Schwemmebenen befinden sich in relativ breiten, hochgelegenen abgeflachten Alpentälern. Sie haben eine ähnliche Zonation wie die Auen und werden in der Regel alpwirtschaftlich genutzt.

Die 65 national bedeutenden Gletschervorfelder und alpinen Schwemmebenen sind im Aueninventar bezeichnet.

Flora und Fauna

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Die Deutsche Tamariske (Myricaria germanica) ist eine sehr seltene Art auf Kiesbänken entlang von Flüssen wie Rhone oder Rhein

In der Merkblatt-Sammlung Wasserbau und Ökologie (BAFU, 2012) sind im Merkblatt 2 charakteristische Arten von naturnahen Flusslandschaften aufgeführt, z. B. die Deutsche Tamariske (Myricaria germanica), der Laubfrosch (Hyla arborea) oder der Kiesbankgrashüpfer (Chorthippus pullus). Die Listen der Fauna Indicativa lassen sich nach Lebensräumen sortieren. Es gibt die Auen-Fauna-Datenbank, in der aus 2700 Arten zu elf Artengruppen Abfragen gemacht werden können.

Auenberatungsstelle

Für die französischsprachige Schweiz gibt es die Auenberatungsstelle Service conseil Zones alluviales

Links und Bücher

Neben dem im Text bereits erwähnten Links sind folgende besonders empfehlenswert.

  • Auen:
    • Bundesamt für Umwelt BAFU. Auen
    • Das Bundesamt für Naturschutz hat verschiedene, sehr interessante Veröffentlichungen zu den Auen
    • Hrsg.: Patt, H., Podraza, P., Arzet, K., Baumgart, H.-C., Binder, W., Schackers, B., 2016. Fließgewässer- und Auenentwicklung: Grundlagen und Erfahrungen, 2. Auflage. ed. Springer Vieweg, Berlin Heidelberg.
  • Interstitial:
    • Brunke, M., Mutz, M., Marxsen, J., Schmidt, C., Schmidt, S. & Fleckenstein, J.H. (2015): Das hyporheische Interstitial von Fließgewässern: Strukturen, Prozesse und Funktionen. In: Grundwassergeprägte Lebensräume – Eine Übersicht über Grundwasser, Quellen, das hyporheische Interstitial und weitere Habitate (Hrsg. Brendelberger H., Martin, P., Brunke, M., Hahn, H.J.). Limnologie Aktuell, Bd. 14, 133-214p. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart. ISBN 978-3-510-53012-0

Wasserchemie und Nährstoffhaushalt

Die meisten der für Leben in den Fliessgewässern grundlegenden chemischen, physikalischen und biologischen Prozesse laufen im Wasser ab. Flora und Fauna sind deswegen direkt und indirekt auf gute Gewässerqualität angewiesen. Natürliche chemische Prozesse, Eintrag von Nährstoffen (Kohlenstoff, Phosphor, Stickstoff) und organischen oder anorganischen Verbindung (Pestizide, Mikroverunreinigungen, etc.) aus unterschiedlichen Quellen und der Auf- und Abbau von Biomasse beeinflussen diese Qualität. Um die Stoffe und deren Konzentrationen eines Gewässers zu verstehen und interpretieren zu können, müssen Verwitterungsprozesse, den Austausch zwischen Atmosphäre und Wasser, Wechselwirkungen zwischen Organismen und Wasser und Anthropogene Einträge in Gewässer berücksichtigt werden.

Typische Zusammensetzungen verschiedener Gewässer mit den entsprechenden Indikatoren (Temperatur, Nitrat, Sauerstoff, Phosphat, DOC, etc.) und weitreichende theoretische Grundlagen finden sich in Grundlagewerken. Einen groben Überblick des gegenwertigen Zustandes unserer Fliessgewässer wird jährlich vom BAFU im Hydrologischen Jahrbuch publiziert. Das BAFU Magazin «umwelt» (1/2017) widmet sich dem Thema Gewässerqualität und Mikroverunreinigungen. Einen Überblick von spezifischen Methoden zu chemisch-physikalischen Erhebungen (hauptsächlich Nährstoffe) und über Mikroverunreinigungen und Nährstoffe wird von diversen Publikationen des BAFU und der Eawag gegeben. Bioindikation spielt eine sehr wichtige Rolle als Methode zur Gewässergütebeurteilung, weil sie indirekt Rückschlüsse auf Nährstoffbelastung oder Verunreinigung zulässt.

Durch die Nationale Beobachtung der Oberflächengewässerqualität (NAWA) und die Nationale Daueruntersuchung der Stofffrachten in schweizerischen Fliessgewässern (NADUF) (seit 1972; Nährstoffe, geogene Stoffe, Schwermetalle, Abfluss und Temperatur) werden schweizweit wichtige Indikatoren gemessen. Weitere Beobachtungsebenen sind das Messprogramm TREND (langfristige Dauerbeobachtung mit chemisch-physikalischen Parametern an 111 Messstellen; gleicher Link wie NAWA) und NAWA SPEZ (Untersuchungen zur Pestizidbelastung in Oberflächengewässern).

Hintergrundinformationen

  • Koelle, W. (2017). Wasseranalysen - richtig beurteilt. Grundlagen, Parameter, Wassertypen, Inhaltsstoffe. 4. Auflage. Weinheim, Wiley-VCH.
  • Sigg, L. & Stumm, W. (2016). Aquatische Chemie - Einführung in die Chemie natürlicher Gewässer. 6. Auflage. Zürich, vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.

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Autoren

Text Aqua Viva
Verein biodivers info@biodivers.ch
Review Robert Bänziger Bänziger Kocher Ingenieure AG
Willy Müller LANAT Amt für Landwirtschaft und Natur, Fischerei
Bruno Schelbert Umwelt, Natur und Landschaft Aargau
André Stapfer