Stillgewässer/Praxisrelevante Ökologie

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Einleitung

In diesem Kapitel werden die Faktoren beleuchtet, welche über die Qualität und die ökologische Bedeutung eines kleinen Stillgewässers entscheiden: Hydrologie (Wasserqualität und Wasserführung), Morphologie, angrenzende Landlebensräume, Vernetzung und Fischbestand. Weitere ökologisch relevante Aspekte sind auch die natürlichen Prozesse Verlandung und Nährstoffanreicherung. Im Kapitel Grundlagen werden weitere Aspekte beleuchtet und auf die Biologie wird vertieft eingegangen.

Biologie

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Kleine Stillgewässer sind für viele Artengruppen wie Pflanzen, Wasserkäfer, Amphibien oder spezialisierte Spinnen wichtige Lebensräume. Abgebildet sind die Weisse Seerose (Nymphaea alba), Armleuchteralgen (Chara sp.), Gelbrandkäfer (Dytiscus marginalis), Kammmolch (Triturus cristatus) und die Wasserspinne (Argyroneta aquatica).

Kleine Stillgewässer sind sehr artenreiche und ökologisch bedeutende Lebensräume mit vielen, teils spezialisierten Artengruppen. Diese Lebewesen sind an die speziellen Bedingungen wie starke Schwankungen von Wasserstand, Temperatur oder Sauerstoff gut angepasst. Viele Tiere sind Luftatmer und ziemlich mobil und können (neue) Gewässer schnell besiedeln, wenn sie in Ausbreitungsdistanz[1] sind.

Wasserpflanzen sind für viele Tiere Lebensraum. Je stärker bewachsen ein Stillgewässer ist, desto grösser ist die Pflanzenvielfalt! Für das Wachstum der Pflanzen ist es wichtig, dass das Wasser transparent ist und genug Licht bis auf den Grund dringt. Wenn das Gewässer zu nährstoffreich und dadurch stark wüchsig ist, können wenige Arten Überhand nehmen (z. B. Schilf (Phragmites australis), Breitblättriger Rohrkolben (Typha latifolia), Kleine Wasserlinse (Lemna minor)). Eine reiche Unterwasservegetation kann unter diesen Umständen nicht mehr wachsen. In temporären Gewässern, die bis zu mehreren Monaten trockenfallen, kann sich meist keine vielfältige Unterwasservegetation entwickeln. In solchen Gewässern erfordern es die Ziele i. d. R. auch nicht. So tolerieren Pionierarten unter den Amphibien wie Kreuzkröte (Epidalea calamita) oder Gelbbauchunke (Bombina variegata) auch karge Gewässer. Das periodische Austrocknen und die gute Besonnung sind für diese Arten wichtiger. Im Kapitel Grundlagen ist das Wichtigste zur Biologie der kleinen Stillgewässer aufgeführt.

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Das dichte Wachstum der Kleinen Teichlinse (Lemna minor) hemmt die Durchflutung des Wasserkörpers mit Licht.

Hydrologie

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Unterschiedliche Nährstoffniveaus: Links ein nährstoffarmes Moorgewässer, rechts ein nährstoffreicher Weiher.

Die Wasserqualität ist einer der Schlüsselfaktoren! Für 85% der seltensten gewässergebundenen Arten in Grossbritannien ist sauberes Wasser essentiell[2]. Für Mitteleuropa dürfte ähnliches gelten. Schlechte Wasserqualität verringert die Artenvielfalt, verursacht grösseren Unterhaltsaufwand und beschleunigt den Verlandungsprozess. Amphibien und Libellen, bei uns traditionell gut untersuchte Artengruppen, sind relativ nährstofftolerant. Dies darf nicht zum Schluss verleiten, dass dies auch für alle anderen Artengruppen gilt. So reagieren zum Beispiel Wasserkäfer und Eintagsfliegen empfindlich auf Nährstoffbelastung. Rote Listen und der Zustand der Gewässer zeigen deutlich auf, dass es an nährstoffarmen Gewässern mangelt. Die Unterscheidung der verschiedenen Trophiestufen ist im Kapitel Physikalische und chemische Eigenschaften behandelt. Im Kapitel Bau neuer Gewässer wird beschrieben, worauf man bei der Planung eines Gewässers betreffend Wasserqualität beachten muss. Die Wasserführung ist der Zeitraum, in welcher ein Gewässer Wasser aufweist. Fachleute verwenden dafür oft den Begriff «Bespannung» (bespannt = mit Wasser). Die Wasserführung ist ein charakteristisches Merkmal eines Gewässers und hat grossen Einfluss auf die darin lebenden Pflanzen und Tiere. Man unterscheidet[3]:

  • Permanent: Gewässer führen ganzjährig Wasser, der Wasserstand kann stark schwanken
  • Semi-permanent: Gewässer trocknen nur kurz und nicht alljährlich aus.
  • Temporär (astatisch): Gewässer fallen während einer gewissen Zeit des Jahres trocken. Dies kann natürlich bedingt (z. B. Grundwasserweiher in Flusslandschaften oder kleinere Waldgewässer) oder anthropogen gesteuert sein (z. B. Pioniergewässer für Amphibien, welche von Frühling bis Spätsommer eingestaut und anschliessend abgelassen werden).
  • Periodisch: Gewässer, die in gewissen Abständen trockengelegt werden, z. B. Fischteiche.
  • Ephemer: Gewässer, die nur vorübergehend und oft auch in unregelmässigen Abständen Wasser führen.

Die Arten der Stillgewässer haben teilweise spezifische Anforderungen an die Wasserführung. Für die Amphibien sind diese gut bekannt: Laichgewässer sollen i.d.R. während des ganzen Sommerhalbjahres Wasser führen und erst im Herbst/Winter austrocknen, Gewässer mit Geburtshelferkröten (Alytes obstetricans) und Wasserfröschen (Pelophylax sp.) sollen höchstens alle paar Jahre austrocknen. Die Erdkröte (Bufo bufo) bevorzugt permanente Gewässer. Ähnliches gilt für verschiedene Libellenarten.

Stillgewässer sollen mit sauberem Wasser versorgt werden.

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Links ein permanentes Moorgewässer (Mürtschenalp, Kanton Glarus), rechts ein regelmässig austrocknender Tümpel im Grundwasserbereich der Reuss. Vor allem letztere sind selten geworden und sollen prioritär gefördert werden.
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Temporäre Tümpel werden fälschlicherweise oft nicht als wertvolle Lebensräume wahrgenommen!

Morphologie

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Der Bereich mit seichtem Wasser soll möglichst ausgedehnt sein. Die Uferlinie soll lang und die Ufer sehr flach sein. Das Gewässer rechts ist zwar seicht, die linsenförmige Form aber eintönig. Ganz im Gegensatz zum Gewässer rechts mit sehr langer Uferlinie.

Die Vielfalt an Kleinhabitaten ist eine direkte Folge der morphologischen Vielfalt. Lange Uferlinien, ausgedehnte Flachwasserbereiche im Schwankungsbereich des Wassers sowie Variabilität der Tiefe und der Uferstruktur fördern die Artenvielfalt. Mit Flachwasser sind dabei Tiefen von wenigen Zentimetern bis wenige Dezimeter gemeint.
Bei der Gestaltung eines Gewässers ist der Schwankungsbereich des Wasserspiegels im Jahresverlauf zu berücksichtigen. Dieser kann 50 cm oder mehr ausmachen.

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Der Flachwasserbereich ist ökologisch besonders wertvoll (The shallows 0-10 cm = Flachwasserbereich; Mid-depth 10-30 cm = mittlere Wassertiefen; Deeper water 30 cm+ = Tiefwasserbereich). Quelle: «the Pond Book, A Guide to the Management and Creation of Ponds» (siehe Literaturempfehlung) oder «POND CREATION TOOLKIT SHEET 4».

In vielen Veröffentlichungen steht geschrieben, Gewässer sollen mindestens 1m tief sein, oft mit der Begründung, damit sie im Winter nicht durchfrieren. Da sich die ökologisch wertvollsten Bereiche im Flachwasserbereich befinden, fehlt bei einem kleinen und tiefen Gewässer dann der Raum für diese Zone. Letztendlich sollen die Ansprüche der Ziellebensräume und -arten über die Morphologie bestimmen.
Seichte Gewässer erfordern zwar regelmässigeren Unterhalt als tiefe, die grössere Vielfalt ist aber wichtiger als geringer Unterhalt.


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Flache Ufer mit einer Neigung kleiner als 1:5 sind wichtig (Steep banks = Steilufer; Extensive shallows = ausgedehnter Flachwasserbereich). Quelle: «the Pond Book, A Guide to the Management and Creation of Ponds» (siehe Literaturempfehlung) oder «POND CREATION TOOLKIT SHEET 4».

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Von seichtem Wasser profitieren Limikolen wie die Bekassine (Gallinago gallinago) oder, dank der erhöhten Temperaturen, Kaulquappen (abgebildet ist der Grasfrosch (Rana temporaria)).

Landlebensraum

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Streu- und Asthaufen sind wertvolle Strukturen in der Umgebung von Kleingewässern. Es ist darauf zu achten, dass sie den Unterhalt möglichst nicht erschweren und dass freigesetzte Nährstoffe aus solchen Haufen nicht ins Gewässer gelangen. Auf dem Asthaufen rechts sonnt sich eine Ringelnatter (Natrix natrix).

Neben dem Gewässer selbst sind auch die angrenzenden Landflächen für die Gewässerbewohner wichtig, denn viele wassergebundene Arten leben amphibisch (nicht nur die Amphibien) und verbringen wesentliche Lebensabschnitte an Land. Der Landlebensraum soll möglichst gross und strukturreich sein und eine gewisse Feuchtigkeit aufweisen. Im Weiteren soll er keine Tierfallen (Dolen, Schächte aller Art; falls vorhanden, dann diese mit einem feinen Maschendraht sichern oder Ausstiegshilfen montieren) aufweisen, ungedüngt sein und es sollen keine Pestizide eingesetzt werden. Bei den Grundlagen hat es Angaben zur Bedeutung von Gehölzen und Wald in der näheren Umgebung. Im Libellenartikel sind die Ansprüche dieser Artengruppe an die Gewässerumgebung zusammengestellt.

Gewässerverbund und -Vernetzung

Eine gute Vernetzung ist wichtig. Je dichter das Gewässernetz ist, desto besser, denn je kleiner die Flug- oder Wanderdistanz, desto grösser die Wahrscheinlichkeit der Besiedlung. In einem Verbund sollen die Gewässer möglichst viel Variation aufweisen bezüglich Grösse, Tiefe, Alter, Trophie, Verlandungsstadium, Beschattung, etc. (bei der Förderung spezifischer Zielarten sind ähnliche, auf diese Art ausgerichtete Gewässer nützlicher). Gemäss Experten soll es in den tieferen Lagen der Schweiz 4 bis 10 Gewässer pro km2 geben. Bei der Neuanlage von Gewässern kann man zwei unterschiedliche Strategien verfolgen: a) Stärkung von Zielarten in einem Gebiet mit bereits dichtem Gewässernetz oder b) Verdichtung des Gewässernetzes in einer Region mit geringer Gewässerdichte zur Vernetzung von Vorkommen[4].

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Gewässerdichte in der Schweiz; Quelle: «Création de mares et étangs alpins pour la promotion de la biodiversité» (HEPIA 2017).

Natürliche Prozesse

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Ablassbares Gewässer mit wenig Unterhaltsbedarf.

Kleine Stillgewässer sind nicht statisch. Mit zunehmendem Alter werden sie nährstoffreicher und sie sind einem permanenten Verlandungsprozess ausgesetzt. Dieser verläuft bei nährstoffreichen Gewässern schneller als bei nährstoffarmen. Stillgewässer bleiben nur in der Höhe oder in sehr nährstoffarmen Lebensräumen, z. B. in Hochmooren, über lange Zeit oligotroph und verändern sich wenig (Achtung: Durch menschliche Einflüsse wie Alpbewirtschaftung, Fischbesatz oder anderes können sich auch diese Gewässer schnell verändern!). Durch Unterhalt lässt sich der Prozess verlangsamen. Dieselbe Wirkung hat das regelmässige Trockenfallen bei temporären Gewässern. Während dieser Zeit wird organische Substanz abgebaut.

Weitere Kapitel zu den Stillgewässern

Autoren

Text Verein biodivers info@biodivers.ch
Review Jan Ryser Pro Natura Bern
Hansruedi Wildermuth hansruedi@wildermuth.ch
Publikation Mai 2020

  1. Ausbreitungsdistanzen sind artspezifisch und meist nur ungenau bekannt. I. d. R. sind die ausgewachsenen Tiere (Adulte) mobil, nicht aber die Larven.
  2. Quelle: The Pond Book
  3. Bemerkung: Es gibt keine einheitliche Unterscheidung. Die gewählte ist einfach und wird den unterschiedlichen ökologischen Eigenschaften der kleinen Stillgewässer gerecht. Literatur: Siehe z. B. Hutter et al. (2002): Seen, Teiche, Tümpel und andere Stillgewässer: Biotope erkennen, bestimmen, schützen; Dettinger-Klemm (2000): Temporäre Stillgewässer - Charakteristika, Ökologie und Bedeutung für den Naturschutz, in: Gewässer ohne Wasser? Ökologie, Bewertung, Management temporärer Gewässer.
  4. Quelle: «Oertli, B., Finger-Stich, A., Ilg, C., 2017. Création de mares et étangs alpins pour la promotion de la biodiversité, Guide de «best-practices».